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Newsletter April 2015 - Interview
 

Das Internationale Qualitätsmanagement und die Entwicklungen der AZAV sind für uns die zentralen Themenfelder für 2015

Interview mit CERTQUA-Geschäftsführer Andreas Orru

Redaktion: Welches sind die aktuellen Themenfelder in 2015, die die CERTQUA bewegen?

Wir beobachten derzeit zwei Hauptbereiche. Einerseits die Entwicklungen im internationalen Qualitätsmanagement, andererseits die Entwicklungen in der AZAV.

Redaktion: Mit Blick auf das interna-tionale Qualitätsmanagement steht die neue ISO 9001:2015 in der Diskussion. Wie ist dort der aktuelle Sachstand?

Im internationalen Qualitätsmanagement geht es derzeit um die letzten Abstimmungen der neuen ISO 9001:2015. Hier gilt das Augenmerk der neuen Struktur und den neuen Themenfeldern, die künftig von den Unternehmen und dann auch von uns als Zertifizierungsorganisation zu beleuchten sind.

Redaktion: Welche Aspekte sind für die anwendenden Unternehmen von besonderer und praxisnaher Bedeutung?

Zunächst bietet die ISO 9001:2015 eine komplett neue 7-stufige Struktur. Damit bietet sie einen einheitlichen Rahmen für unterschiedliche Regelwerke. Dies ist gerade für Unternehmen wichtig, die über integrierte Managementsysteme verfügen. Hier entsteht ein deutlicher Mehrwert. Dann sind es insbesondere zwei neue und wichtige Felder, nämlich der Umgang mit betrieblichem Wissen (Wissensmanagement) sowie das Risikomanagement, welche für die Unternehmen interessante neue Ansatzpunkte bieten.

Redaktion:  Wie bewerten Sie die Entwicklung im Bereich der AZAV?

Die AZAV ist nun fast drei Jahre in der praktischen Anwen-dung. Wir denken, dass sie sich auf den ersten Blick insgesamt bewährt hat. Die 6 Fachbereiche sind den Trägern bekannt und die Produktentwicklungslinien auf Basis der §§ 45 und 81 SGB III stehen und funktionieren. Andere Aspekte hingegen erfüllen uns mit Sorge.

Redaktion:  Worauf beziehen sich Ihre Sorgen?

Auf den zweiten Blick erfüllt uns mit Sorge, dass gerade kleinere Träger oder Träger, die die AZAV-Maßnahmenzulassung eher selten benötigen, die zunehmende Komplexität der Regelwerke als Belastung empfinden. Ein Parameter dafür ist der Grad der unzureichenden und fehlerhaften Anträge. Dies kann man nicht nur den Trägern anlasten, sondern dies  muss Anlass sein, auch einen Blick auf die Strukturen, die unterschiedlichen Akteure und deren Interessen sowie die Schwerpunktsetzungen zu werfen.
"Das Zusammenwirken von 7 verschiedenen Entscheidungsträgern mit unterschiedlichen Interpretationen der Regelwerke, macht es für Träger schwierig, über die zunehmende Komplexität der Regelwerke leicht hinweg sehen zu können."

Redaktion:  Oftmals sind die komplexen und für Außenstehende nicht immer leicht zu überblickenden Strukturen Teil des Problems. Können Sie diese einmal für unsere Leser darlegen?

Nun, zunächst haben wir da den Gesetzgeber, dann den Verordnungsgeber, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die Bundesagentur für Arbeit (Zentrale Nürnberg), den Operativen Service der BA (Standort Halle), den AZAV-Beirat, die Akkreditierungsorganisation DAkkS und das DAkkS-Sektorkomitee AZAV. Alles in allem sind dies 7 Akteure.
Diese 7 Akteure wirken dann auf über 30 Fachkundige Stellen ein, die ihrerseits ggf. bis zu 30 unterschiedliche Interpretationen der Regelwerke, Ent-scheidungen und Empfehlungen vornehmen. Das dies dann am Ende für Träger, die sich nicht kontinuierlich mit der Materie befassen, zu Problemen führt, ist nachvollziehbar.

Die Frage muss am Ende folglich lauten, ob die durch die vielschichtige Struktur zunehmende Komplexität Teil der Lösung sein kann oder ob sie Teil des Problems ist.

Redaktion:  Wie sieht es denn mit dem Sachstand der aktuellen Fragen hinsichtlich der Kleingruppenthematik und der unterjährigen Überwachung der Maßnahmen aus?

Erfreulicherweise hat die BA-Zentrale im Januar 2015 entschieden, dass die Träger nun auch unter bestimmten Voraussetzungen eine Maßnahmenzulassung für Kleingruppen (< 15 Teilnehmer) erlangen können.
Für die Träger weniger erfreulich sind die sodann vom Operativen Service der BA (in Halle) aufgegebenen Restriktionen. Hier beginnt das "Gerangel" um die Deutungshoheit.

Ein anderer Punkt ist die Frage der Überwachung von AZAV-Maßnahmen in den jährlichen Überwachungsaudits.

Hier war schon unklar, welchem Gremium dieses Thema zuzuordnen war. Ist es das DAkkS-Sektorkomitee (SK) oder ist es der AZAV-Beirat? Letzterer hat sich dann in dieser Frage für zu-ständig erklärt, aber keine Entscheidung getroffen. Dies ist nach nunmehr 3 Jahren AZAV-Anwendung wenig befriedigend und den nachfragenden Trägern oft nicht vermittelbar.

Redaktion:  Warum zieht sich die Lösung des Maßnahmenüberwa-chungsproblems seit 3 Jahren hin?

Der Grund ist die Orientierung der Auditaufwände auf die Vorgaben aus den internationalen Regelwerken. Diese Vorgaben aus der sog. IAF-Tabelle beziehen sich aber auf die Systemprüfung. Wenn jetzt auch noch Produktprüfungsthemen (Maßnahmen sind hier als Produkte zu verstehen) aufgenommen werden sollen, reicht die Zeit am Ende für beide Prüfbereiche nicht aus und das Dilemma beginnt.

Redaktion:  Sie beschreiben ein Gegeneinander von System- und Produktprüfung. Worin besteht das Dilemma?

Will man sowohl der gründlichen Trägerprüfung und zusätzlich auch der gründlichen Prüfung von Maßnahmen gerecht werden, reicht die verfügbare Zeit nicht aus. Sobald der Träger aufgrund seiner Größe eine kritische Menge an Maßnahmen erreicht hat, entsteht ein prüfungstechnisch unlösbares Dilemma. Die Konsequenz ist: Entweder man prüft viele Maßnahmen nur oberflächlich oder man prüft wenige Maßnahmen in vernünftiger Tiefe und folglich dann ganz viele Maßnahmen ggf. überhaupt nicht.

Am Ende ist es wie bei Oma´s Tischdecke, die ein Stück zu kurz ist. Man kann sie nach links ziehen, dann passt sie rechts nicht und man kann sie nach rechts ziehen, dann passt sie links nicht. Wenn das Geld für eine neue Decke nicht reicht, wird man sie in die Mitte schieben, einen Rand links und rechts lassen müssen und hoffen, dass es optisch einigermaßen aussieht.
"Es muss ein Kompromiss zwischen Prüfzeit, Prüfmenge und Prüftiefe geben, so dass es in allen Dimensionen passt. Sowohl prüfungstechnisch als auch kostenmäßig für die Träger."

Redaktion: Ein treffendes Beispiel. Welchen Weg schlagen sie aus die-sem Dilemma vor?

Um beide Aufgaben, eine tiefgehende Trägerprüfung und eine angemessene Maßnahmenprüfung sachgerecht zu erfüllen, muss man sich prüfungstechnisch eingestehen, dass beide zeitlichen Aufwände zunächst getrennt zu ermitteln sind. Daraus ergibt sich dann am Ende - unter Einbeziehung von verschiedenen Optimierungen - ein Gesamtaufwand.
Dieser Gesamtaufwand kann bei Trägern mit vielen Maßnahmen jedoch deutlich höher liegen als in der Vergangenheit. Damit verteuert sich das Verfahren für diese Träger.

In o.g. Bild unserer Tischdecke muss letztlich auch die Lösung unseres Maßnahmenüberwachungsproblems gesehen werden, nämlich einen möglichst ausgewogenen Kompromiss zwischen Prüfzeit, Prüfmenge und Prüftiefe, so dass es in allen Dimensionen passt. Sowohl prüfungstechnisch als auch kostenmäßig für die Träger.

Redaktion: Woran sollte sich eine gute und tragfähige Lösung denn orientieren?

Im Ergebnis sollte wichtig sein, dass man prüfungstech-nisch eine klare und saubere Systematik darlegen kann. Zertifizierung und Zulassung lebt vom Vertrauen der Programmeigner (hier BMAS), der Auftraggeber, der Fachöffentlichkeit und der Verbraucher. Wenn wir schon Zertifikate auf Basis der Produktprüfungsnorm ISO 17065 ausgeben müssen, dann sollten die o.g. Nutzergruppen auch darauf vertrauen dürfen, dass der Geist dieser Norm auch umfassend zur Anwendung gelangt ist. Alles andere ist der Glaubwürdigkeit des Zulassungssystems AZAV und seiner Zertifikate abträglich.

Es war übrigens die ausdrückliche Vorgabe des Verordnungsgebers und Programmeigners BMAS, dass die Maßnahmenzulassung auf der Basis der Produktzertifizierungsnorm ISO 17065 zu erfolgen hat.
Wenn der Verordnungsgeber und Programmeigner sowie die BA und der AZAV-Beirat sich den dargelegten prüfungstechnischen Konsequenzen verschließen, müssen sie andere Lösungen und für die Träger bezahlbare Lösungen finden.

Redaktion: Wie viele unterschiedliche Fachmeinungen stehen denn in der Diskussion?

Wir beobachten derzeit 4 unterschiedliche Meinungsströmun-gen, die zu berücksichtigen, aber nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist.
Einige sagen, dass sich die Pflicht zur gründlichen Maßnahmenüberprüfung aus der ISO 17065 (Akkreditierungsnorm für Stellen, die Produkte - Maßnahmen - zertifizieren) ableitet. Diese Variante wäre die weitreichendste Lösung mit einem deutlich höheren Prüfaufwand für die Träger.
Andere sagen, dass der Programmeigner, hier das BMAS festlegt, in welchem Umfang er eine Überwachung für sinnvoll hält. Bei dieser Variante hätte es das BMAS als Programmeigner i.S. der ISO 17065 in der Hand, hier eine adäquate Systematik vorzu-geben. Der AZAV-Beirat wäre hier außen vor.

Dritte sagen, unterstützt durch ein Rechtsgutachten, dass alleine die BA für die Überwachung der zugelassenen Maßnahmenzulassung zuständig sei. Die fachkundigen Stellen müssten somit nicht prüfen. Zudem wird angeführt, dass sich aus dem SGB III nur eine klare Verpflichtung der BA zur Maßnahmenprüfung ableiten lässt, nicht aber für die Fachkundigen Stellen. Bei dieser Variante käme viel zusätzliche Arbeit auf die BA bzw. den BA-Prüfdienst zu.

Vierte sagen, dass eben nur so viele Maßnahmen zu prüfen seien, wie es die verbleibende Zeit bei der Trägersystemprüfung erlaubt. Bei dieser Variante würde es quasi beim status quo bleiben.

Redaktion: Das neue CERTQUA-Servicecenter ist speziell auf die AZAV und die Trägerwünsche aus-gerichtet. sind. Wie ist der Sachstand und wohin geht die Reise?

Wir haben in den letzten beiden Jahren erhebliche Investitionen getätigt, um unseren Kunden mit unserem neu entwickelten und auf die Anforderungen der AZAV ausgerichteten CERTQUA-Servicecenter eine komfortable und webbasierte Lösung bereitzustellen. Unser Servicecenter ist das Herzstück unserer operativen Arbeit im Zulassungsgeschehen. Es bildet den verbindenden Kern für 3 Akteursseiten, nämlich für unsere Kunden, unsere Mitarbeiter und für die Auditoren, die die Prüfung vor Ort übernehmen.

Seit einem Jahr ist das Servicecenter nun im Regelbetrieb erfolgreich. Wir optimieren kontinuierlich einzelne Anwendungen, vor allem aber entwickeln wir ständig zusätzliche Services für unsere Kunden.
Zeitnah bieten wir beispielsweise unseren Kunden ein digitales Zertifikatsmanagement an, so dass sie Zertifikate und Anlagen online abrufen können.

Für unsere großen Träger mit vielen Standorten und vielen Maßnahmen bieten wir leistungsstarke Web-Schnittstellenlösungen an, die sie darin unterstützen, den gesamten Beantragungsprozess deutlich zu optimieren. Ich denke, dass wir damit der führende Akteur im Bereich der AZAV-orientierten Fachkundigen Stellen sind.

Redaktion: Herr Orru, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

 

Andreas Orru ist seit 1996 Geschäftsführer der Zertifizierungsorganisation CERTQUA.